Kommentar |
Die Geschichte der französischen Literatur beginnt um 1100 mit einem Heldenepos, der Chanson de Roland. Der Ritter Roland steht im Dienste von Karl dem Großen, kämpft im Namen Frankreichs gegen die Mauren und stirbt am Ende den Heldentod. Das Rolandslied gilt fortan nicht nur als Prototyp nachfolgender Ritter- und Abenteuererzählungen, sondern ebenfalls als literarisches Gründungsmanifest der französischen Nation. Dabei fällt auf, dass mit den beiden Hauptfiguren Roland und Karl zwei distinkte Männlichkeitsmodelle in die Literatur eingeführt werden, die fortan zum festen Figureninventar epischer Kunst gehören: der tapfere Krieger und der weise Herrscher. Der Ritterroman entwickelt sich im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zu einem ersten veritablen Erfolgsmodell innerhalb der romanischen Literaturen. Der Boom führte nicht nur zu immer mehr Nach- und Neudichtungen, sondern auch zu Parodien und Gegenentwürfen, zunächst mit dem Don Quijote (1605/1615) und dem Schelmenroman in Spanien, später auch in Frankreich. Held und Anti-Held treten in einen humorvollen und fruchtbaren Dialog. In der höfischen Kultur der französischen Klassik, in der das Theater zur Leitgattung wird, betritt mit dem honnête homme ein neues Männlichkeitsbild die Bühne: Der Höfling, der sein Verhalten stets zu kontrollieren hat, und um eine an sein Milieu angepasste Performance bemüht ist, die im Wesentlichen aus Mäßigung, Glanz und Eloquenz besteht. Der Dichter Molière entlarvt die buchstäbliche Scheinhaftigkeit des Hofs in vielen seiner erfolgreichen Komödien und prangert vor allem die universelle Heuchelei an. Männlichkeit erscheint in diesem Kontext als performative Leistung und weniger als biologische Kategorie, was auch noch für die großen Entwicklungsromane des 19. Jahrhunderts von Stendhal, Balzac und Flaubert gilt. Auch das von Baudelaire propagierte Männlichkeitsideal des Dandy basiert vornehmlich auf Inszenierung und schauspielerischem Geschick.
In der Vorlesung werden verschiedene Ziele verfolgt: Zum einen soll auf der Grundlage literarischer Texte der historische Wandel spezifischer Männlichkeitsbilder und -ideale nachgezeichnet werden. Insofern steht die These im Vordergrund, dass literarische Männlichkeit einerseits als Resultat ihres jeweiligen kulturhistorischen Kontexts zu verstehen ist, aber andererseits auch selbst dazu imstande ist, solche Bilder und Typen erst hervorzubringen. Des Weiteren sollen anhand von kulturwissenschaftlichen Theorien aus dem Bereich der Masculinity Studies (Connell, Bourdieu, Erhart) sowohl die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen als auch die literarischen Strategien und Formate herausgearbeitet werden, die Männlichkeit als narrative Struktur und soziale Konstruktion begreifen.
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