Kommentar |
Kaum ein wissenschaftlicher Begriff hat im Laufe seiner Geschichte eine solche alltagssprachliche Verwilderung erfahren wie der der Ideologie. Äußerst schwammig und unpräzise wird Ideologie etwa mit den Selbstbezeichnungen staatlicher Verfasstheit zusammengebracht (sodass z. B. von einer nationalsozialistischen oder bolschewistischen Ideologie die Rede ist), mit ökonomischen Leitbildern verknüpft (u. a. neoliberale oder sozialistische/kommunistische Ideologie) oder zur Bezeichnung der – zumeist mit Ablehnung verbundenen – Vorstellungswelt einzelner, machtvoller Personen genutzt (Stalins Ideologie; Putins Ideologie). So ist Ideologie zur Sammelbezeichnung für Vorstellungen, Wissensbestände, Weltanschauungen etc. von Menschen geworden. Findet eine Bezugnahme des Begriffs vor dem Hintergrund marxistischer Philosophie statt, so wird Ideologie recht häufig verkürzt mit falschem Bewusstsein gleichgesetzt – und sich sodann auch schnell in ‚Entlarverei‘ geübt, indem das Falsche am Bewusstsein identifiziert werden soll. Vor dem Hintergrund dieser Konfusion zielt das Seminar vor allem auf Begriffsklärung. Diese wird maßgeblich mit Primärliteratur zum Ideologiebegriff geleistet: Neben Theoretikern aus dem Kreis der Kritischen Theorie (Theodor Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse), wird das ‚Projekt Ideologietheorie‘ aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Thema sein (u. a. Wolfgang Fritz Haug, Jan Rehmann) sowie der Frage nachgegangen, welche Aussagekraft dem Ideologiebegriff in der Gegenwart zukommt. In letztgenanntem Zusammenhang wird insbesondere das zunehmend digitaltechnologische Gepräge der Gesellschaft fokussiert: Wie ist eine maßgeblich von Prozessen der Datenerhebung und (automatisierten) -auswertung geprägte 'Kultur der Digitalität' (Felix Stalder) ideologietheoretisch zu bewerten? Das Seminar knüpft inhaltlich an eine Veranstaltung aus dem vergangenen Sommersemester an; der Besuch jener Veranstaltung ist allerdings ausdrücklich keine Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar in diesem Semester. Da es sich – wie der Titel der Veranstaltung verrät – um eine Theorieseminar handelt, wird die Bereitschaft zur Einarbeitung auch in mitunter etwas schwerer zugängliche Texte erwartet. In den Seminarsitzungen wird Fragen zu Text- und Begriffsverständnis ausreichend Platz eingeräumt. Übergeordnetes Ziel des Seminars ist es, derzeit am Fachbereich stattfindende Projektarbeit zu den menschenrechtsbildenden Implikationen der digitalen Transformation der Gesellschaft in einen größeren theoretischen Horizont zu stellen. |
Literatur |
Grundlagenliteratur:
-Amlinger, Carolin, Die verkehrte Wahrheit. Zum Verhältnis von Ideologie und Wahrheit bei Marx/Engels, Lukács, Adorno/Horkheimer, Althusser und Žižek, Hamburg 2014. -Rehmann, Jan, Einführung in die Ideologietheorie, Hamburg 2008. -Stalder, Felix, Kultur der Digitalität, Berlin 2016.
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