„Le bébé est mort.“ Dieser Satz eröffnet den Roman Chanson douce von Leïla Slimani, der 2016 mit dem renommiertesten Literaturpreis Frankreichs ausgezeichnet wurde, dem Prix Goncourt. Erzählt wird die verstörende Geschichte eines jungen Pariser Ehepaars, das eine Nanny für ihre beiden kleinen Kinder einstellt, damit die Mutter wieder als Anwältin arbeiten kann. Das Kindermädchen erweist sich nach und nach als wahre Perle und wird schnell unverzichtbar, bis es jedoch zur Katastrophe kommt und beide Kinder ermordet in ihrer Wohnung gefunden werden.
Die eigenen vier Wände, das „traute Heim“, gelten gemeinhin als Ort wohliger Zurückgezogenheit, als Bollwerk gegen die Höhen und Tiefe des Alltags. Was aber passiert, wenn das „Unheimliche“ Einzug hält, wenn sich eine zunächst unbestimmbare und zunehmend bedrohlichere Macht ausbreitet? Der Skandalautor Jean Genet widmet sich bereits 1947 in seinem Theaterstück Les bonnes einem ähnlichen Thema: Die Dienerinnen Claire und Solange spielen in Abwesenheit ihrer Vorgesetzten das Spiel von Herrin und Dienerin und imaginieren dabei den Mord an ihrer Chefin. Dieses Skandalstück geht wiederum zurück auf den aufsehenerregenden wahren Fall der beiden Schwestern Papin, die 1933 ihre beiden Herrinnen auf bestialische Weise umgebracht hatten, was in der Öffentlichkeit für einige Aufmerksamkeit gesorgt hatte und auch Künstler und sogar Psychoanalytiker inspirierte. Darunter nicht zuletzt der berühmte französische Regisseur Claude Chabrol, der 1995 in seinem Film La cérémonie die Geschichte eines brutalen Mordfalls erzählt, der ebenfalls von zwei weiblichen Angestellten ausgeübt wird.
Im Seminar werden die drei Werke über häusliche Gewalt von Genet, Chabrol und Slimani behandelt. Im Fokus stehen u. a. folgende Fragestellungen:
1) Welche Art von Gesellschaftskritik steckt in diesen Werken?
2) Warum wird häusliche Gewalt in den Künsten häufig als weiblich dargestellt?
3) Welche Rolle spielt das Unheimliche?
4) Wie rezipiert die Psychoanalyse das Phänomen häuslicher Gewalt?
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