Kommentar |
Die disziplinäre Einordnung des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset (1883–1955) fällt schwer: Er ließe sich mit gleichem Recht der Lebensphilosophie, der Kulturphilosophie, der Existenzphilosophie als auch der Philosophischen Anthropologie zuordnen, er beschäftigt sich in seinen Schriften und Vorträgen mit Politik, Gesellschaft, Geschichte, Kunst und Moral. Was all seine Überlegungen eint ist jedoch die Überzeugung, dass das menschliche Leben die „radikale Wirklichkeit“ ist, von welcher jeder Denkakt ausgehen und auf welche jedes Kulturprodukt zurückgeführt werden muss. Dieser Grundgedanke war und ist für die spanische Philosophie seit dem 20. Jahrhundert elementar, weswegen Ortegas Bedeutung für die spanischsprachige Welt kaum überschätzt werden kann. Doch obwohl Ortega stark von der deutschen Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts beeinflusst war (zunächst vor allem von den Neukantianern, später dann u.a. von Scheler, Nietzsche, Husserl und Dilthey), findet er in deutschen Universitäten heutzutage nur selten Beachtung. Dieses Versäumnis will das Seminar nachholen, indem es durch Lektüre und Diskussion von „Einige Vorlesungen zur Metaphysik“ in die Philosophie Ortegas einführt.
In diesem zunächst 1932/33 als Vorlesung gehaltenen Text beschäftigt sich der Autor mit der Frage, was Metaphysik eigentlich ist und warum ein Wesen wie der Mensch überhaupt Metaphysik „betreibt“. Diese Frage aber führt Ortega zu einer ausführlichen Untersuchung der Grundstrukturen der menschlichen Existenz und damit zum Kern seines eigenen Philosophierens, welches er in der reifen Phase seines Schaffens auch als „Metaphysik des Lebens“ bezeichnete. Ortega entfaltet hier ein Denken, das an einigen Stellen stark nach Heidegger klingt, das aber der klassischen Seins-Frage kritisch gegenübersteht und stets an dem elementaren Problem orientiert ist, was es für den Menschen eigentlich bedeutet, zu leben.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Seminars sollen durch eine genaue und angeleitete Lektüre der deutschen Textfassung von „Einige Vorlesungen zur Metaphysik“ in das Denken Ortegas eingeführt werden und so grundlegende Begriffe und Konzepte seiner Philosophie kennenlernen. Sie sollen auf diese Weise dazu in die Lage versetzt werden, selbständig weitere Schriften Ortegas verstehen und angemessen interpretieren zu können. |
Literatur |
bis spätestens zur zweiten Einheit des Seminars muss folgende Textgrundlage angeschafft werden:
Ortega y Gasset, José, Der Mensch ist ein Fremder. Schriften zur Metaphysik und Lebensphilosophie, hrsg., übers. u. mit einer Einleit. v. Stascha Rohmer, Freiburg/München 2008.
Zur Einführung empfohlen:
Marías, Julian, José Ortega y Gasset und die Idee der lebendigen Vernunft. Eine Einführung in seine Philosophie, Stuttgart 1952. |
Voraussetzungen |
Die Teilnahme am Seminar setzt die Bereitschaft zum vorbereitenden und kontinuierlichen Textstudium voraus. Es wird erwartet, daß sich die Studierenden (ab zweites Studiensemester) vor Veranstaltungsbeginn Kenntnisse über den Referenztext aneignen und diesen für jede Sitzung, dem Semesterplan entsprechend, sorgfältig studieren.
Zum Studium der Philosophie gehört ebenso die Einübung in die Artikulation philosophischer Argumentationen in Wort und Schrift, die in den Seminaren praktiziert wird. Die Teilnahme an der ersten Sitzung des Seminars ist obligatorisch. |